Bauen

Mehr Wohnungen, mehr Klimaschutz, weniger Zeit

Wie lassen sich die Wohnungsbauziele der Bundesregierung auf Landesebene und in den Kommunen umsetzen? Zu diesem Thema tagten die Geschäftsführer der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunter­nehmen (KoWo) Anfang Mai in Tuttlingen.

Die Tagung beschäftigte sich mit den ambitionierten Zielen der Bundesregierung, die den Bau von 400.000 neuen bezahlbaren und klimagerechten Wohnungen pro Jahr vorsehen – davon 100.000 Sozialwohnungen.


Strategien für neue Herausforderungen

KoWo-Vorstandsvorsitzender und GGH-Geschäftsführer Peter Bresinski machte deutlich, dass aufgrund des KfW-Förderstopps Neubau- oder Modernisierungsprojekte entweder zurückgestellt oder aufgegeben werden müssen, wenn sich die Preissteigerungen fortsetzen. Er forderte eine technologieoffene, integrale Strategie, welche energetische Quartierskonzepte ermöglicht, die tatsächliche CO2-Einsparung in den Blick nimmt und sich von überholten Denkmustern einer immer stärker gedämmten Gebäudehülle verabschiedet. „Momentan entsteht zwischen der sozialen Wohnraumbereitstellung und dem Klimaschutz ein Zustand der Konkurrenz und Überforderung“, so Bresinski.

Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck ging auf die aktuellen wohnungspolitischen Themen sowie Herausforderungen vor Ort ein. Aufgrund der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Baubranche – Stichwort Materialmangel – bezeichnete Beck die Wohnungsneubauziele der Bundesregierung als schwer realisierbar. „Wenn wir nicht die entsprechenden Instrumente erhalten, drehen sich die Diskussionen in den Städten und Gemeinden erfolglos um dieselben Themen“, mahnte er. Er dankte den kommunalen Wohnungsbauunternehmen für ihre Arbeit, welche sich durch ihre sozialen Ziele von anderen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt positiv abheben.

Dr. Volker Kienzlen, Ministerialrat Dr. Eckart Meyberg, Markus Müller, Peter Bresinski, Dr. Reiner Braun und Ingo Hacker (v.l.n.r.)

Quantitative Zielsetzungen werden ­pulverisiert

Ministerialrat Dr. Eckart Meyberg, Leiter des Referats Wohnraumförderung im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, warnte, dass in der gegenwärtigen Situation die Ziele nicht zu hochgesteckt werden dürften. Es gelte stattdessen an den Stellschrauben zu drehen, die den Herausforderungen angemessen begegnen. Er betonte: „Die Landesregierung liefert Handlungsansätze, wie die Neuauflage des Landeswohnraumförderprogrammes. Die Verbesserungen sind möglicherweise nicht mehr weitreichend genug; die Rahmenbedingungen waren um die Jahreswende noch nicht kalkulierbar. Die Politik hat jedoch das Problem der Branche erkannt und versucht mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten zu agieren.“

Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, sprach sich dafür aus, „ins Tun“ zu kommen. Hierfür sieht er einen Kulturwandel in der Stadtplanung als ausschlaggebend. Der Wandel müsse sichvon der Digitalisierung über die Reformation der Planungsinstrumente bis hin zu einem pro­aktiven Beteiligungsprozess erstrecken.

Es darf nicht am Bedarf vorbei gebaut ­werden

Dr. Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender empirica AG, konstatierte, dass rein mengenmäßig Baden-Württemberg ausreichend Wohnungen baue – rund 2/3 mehr Neubau als vor zehn Jahren. Diese befänden sich jedoch nicht unbedingt im preisgünstigen Segment sowie in Regionen, in denen dieser Wohnraum gebraucht würde. Im Zusammenhang mit den Neubauzielen der Bundesregierung plädierte er dafür, den Wohnungsmarkt regional zu betrachten und auf die Gegebenheiten vor Ort zu reagieren. Er forderte, dass der Neubau und die Sanierung nicht stranguliert werden dürften. Förder­volumen und Strategie müssten auf den Bestand gelenkt 
werden, so Braun.

Peter Bresinski stimmte zu und plädierte für keine weiteren Verschärfungen des Neubaustandards. Um die Klimaziele zu erreichen, dürften nicht immer höhere Ziele gesteckt werden. Der KoWo-Vorsitzende sieht hierfür unter anderem auch die Energiewirtschaft in der Pflicht. Der Einsatz von regenerativen Energien müsse verstärkt werden.

Roadmap bis 2045

„Wir brauchen für den Gebäudesektor eine Roadmap bis 2045. Mit klaren Zuständigkeiten und mehr Kooperationen auf allen Ebenen“, sagte Dr. Braun. Markus Müller forderte, dass gesetzte Ziele realistisch eingeschätzt werden, Ambitionen nicht verfehlt und der Ehrgeiz beibehalten wird. „Wir sollten unsere privilegierte Situation in der Wohlstandsgesellschaft nutzen und Innovation und Transformation leben“, so Müller. Hierbei erhoffe er sich programmatische Impulse in der Stadtplanung, wie es beispielsweise IBA-Projekte initiieren. Peter Bresinski betonte, dass früher deutlich schneller gebaut worden sei. Heute würden unter anderem Regularien, Bauvorschriften oder auch Bürgerbegehren das Bauen bremsen. „Demokra­tische Entscheidungen dürfen nach einigen Jahren nicht 
wieder rückgängig gemacht werden“, forderte Bresinski. 

KoWo Baden-­Württemberg

In der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen, kurz KoWo, haben sich rund 60 kommunale und landkreisbezogene Wohnungsunternehmen zusammengeschlossen. Sie verwalten über 140.000 Mietwohnungen und gehören mit einem Investitionsvolumen von mehr als 940 Millionen Euro zu den wichtigsten Auftraggebern der heimischen Bauwirtschaft. Ziel der seit 1990 bestehenden Vereinigung ist es, ihre spezifischen Interessen auf Landesebene zu vertreten und zu bündeln.


17. Oktober 2022 | Fotos: GGH/Christian Buck; Tuttlinger Wohnbau GmbH / Corinna Hoffmann